Der Tag an dem ich nominiert wurde

Es war wieder einer dieser verregneten Herbstabende, als ich teilnahmslos mit einer Flasche Rotwein vor dem Rechner saß. Das Internet hatte sich verändert über die Jahre. Plötzlich galt die private Sitzung am Rechner nicht mehr der Pornographie und dem Zugang zu interessanten Nachrichten rund um den Globus. Was in den 90ern damals so spannend anfing, verkam nun zu einer Selbstdarstellungsshow für all jene die eigentlich nichts zu sagen hatten: Vorhang auf für die Generation „social media“! 

Irgendwie war mir immer klar gewesen, dass uns der ganze Mist eines Tages um die Ohren fliegt, ich fragte mich nur die ganze Zeit wann es endlich losgeht.

Dies sollte nun die Vorstufe vom großen Overkill werden, die vier Reiter der Apokalypse in Form von Facebook, Twitter, Youtube und Whatsapp.

Es fing damit an, dass die Leute erstmal zeigten was sie alles hatten: Ihr Haus, Ihr Kind, Ihr Hund und ihr Urlaubsdomizil. So richtig die Hosen liess natürlich keiner runter, im Grunde genommen wurde dem Rest der Welt stets nach amerikanischen Vorbild eine perfekte Welt vorgegaukelt. Doch auch das wurde irgendwann langweilig und so fingen ein paar Leute an haarsträubende Bilder von getöteten Hunden in Entwicklungsländern, Bilder von leukämiekranken Babies und um der eigenen Selbstherrlichkeit gerecht zu werden inflationär „Selfies“ zu „posten“.

Selfies, das sind Bilder bei denen man sich die Kamera direkt vor die Visage hält, schaut dass man irgendeine pseudowitzige Grimasse macht und im Vordergrund steht, während im besten Fall noch ein Haufen lustiger Freunde hinter einem stehen.
Auf letzteres sollte schon geachtet werden, denn sonst ist man nicht „social“, in den Staaten gelten Leute mit unter 100 „Freunden“ gar als asozial.
Soweit, so gut. Letzten Endes macht es den Menschen Spaß, zwar ein fragwürdiger, aber er ist da und scheint irgendwie auch zu befriedigen, satisfy yourself!

Doch was nun die nächste Stufe war, dass man ungefragt von Leuten „nominiert“ wurde vor laufender Kamera Bier auf ex zu saufen oder sich einen Eimer Wasser für einen vorgeschobenen guten Zweck über den Kopf zu kippen, ja, das stiess dann dem Fass vollends den Boden raus.

Ich saß also da, eierte durch das Internet und schaute zwischendurch was die Paralell-Welt auf Facebook so trieb, als dann auch die erste Nominierung per Video von Andreas Franken für mich auf die Pinnwand flatterte. Ich starrte mit großen Augen auf den Bildschirm während ich in strammen Zügen das Weinglas leerte. Mein innerer Monolog setzte ein….

„Äääh, was?!?!?…..nominiere ich….in den nächsten 48 Stunden….sonst spenden….ALS?!?!“

Ich goß nach und schmunzelte für den ersten Moment…

„Was, was, was?!?! Ich soll mir nen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf giessen?!? Und helfe damit ca. 6000 Erkrankten in Deutschland und wenn nicht muss ich denen Geld geben?!?! Waaaaaaaaas?!?!“

Zum Glück war ich erst gestern beim Weinhändler Nachschub kaufen gewesen. Irgendwo musste doch noch meine Darth Vader Maske stecken. Was zu kiffen müsste ich doch auch noch irgendwo rumfliegen haben.

„Ich bin Dein Vaaaaaater Luke!“

Da war doch die Maske, spitzenmässig! Jetzt konnte es losgehen. Lange genug hatte ich mich zurückgehalten bei all diesen öffentlichen Tests wo ich wohnen soll, wie schlau ich bin oder in welcher Zeit ich am besten gelebt hätte.
Es war jetzt endlich an der Zeit auch mal am Aktionismus teilzuhaben. Auch mal zu machen was alle machen, denn das bringt einem zum einen Sympathien und solange die Leute über einen reden ist man interessant, aus welchem Grund ist dabei eigentlich scheissegal.

Ich justierte die Webcam und zog mich aus, bis ich dann so wie Gott mich schuf mit dem Weinglas im Marihuananebel vorm Rechner saß und erstmal mich ein wenig mit „Nowhere Man“ von den Beatles in Stimmung brachte:

„Doesn’t have a point of view,
Knows not where he’s going to,
Isn’t he a bit like you and me?

Ich zog meine Darth Vader Maske auf:

„Test, Test, Test! Hört Ihr mich da draussen? Naja, wie auch immer….“

Ich stand auf und hob bedeutungsschwanger die Arme in die Luft, während meine Kronjuwelen zwischen meinen Beinen baumelten wie eine faule Frucht, die jederzeit drohte auf den Boden zu klatschen.

„9,5 Mio. Menschen in Deutschland konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Durchschnittlich werden pro Kopf der Bevölkerung jährlich zehn Liter reinen Alkohols konsumiert.“

Ich zeigte bedrohlich mit dem Finger in die Kamera.

„Das kann nicht so bleiben und dem dürft Ihr Euch nicht verschliessen. Deswegen nominiere ich Kalle Klammroth, Horst Schibulski und Annette Blumstein mir es gleich zu tun und Euch auszuziehen vor laufender Kamera oder in den nächsten 48 Stunden an die anonymen Alkoholiker zu spenden. Wo müsst Ihr googlen, wieviel Wein Ihr bei dem Video trinkt ist Euch selbst überlassen.“

Zack! Im Kasten! Ich lud das Video hoch und köpfte eine weitere Flasche Wein, ungeachtet dessen von dem was ich da gerade an Statistik zum besten gegeben habe. Warum habe ich eigentlich nicht direkt an mich selber spenden lassen? Hätte ich Wein von kaufen können. Egal……
Ich dachte in dem Moment das Richtige getan zu haben und fühlte mich wie schon sooft als hätte ich es allen jetzt mal unheimlich gezeigt. Irgendwann schleppte ich mich mit letzter Kraft ins Bett und schloss bis zum nächsten Morgen meine Augen.

Als ich wach wurde schemenhafte Bilder im Kopf. Wein…….Facebook……Idioten……..DARTH VADER!!!!!!!

Ich fuhr den Rechner hoch, klinkte mich bei Facebook ein und siehe da, über 50 Kommentare und dieses megapeinliche Video und auch mein Telefon vermeldete eine Menge von Anrufen. Überwiegend amüsiert, teils auch etwas verstört, aber in jedem Fall auf meine Kosten und nicht unbedingt zu meinen Gunsten……
Zum Glück war es Sonntag und das Wetter draussen immer noch fürn Arsch. Ich löschte das Video, stellte das Telefon auf lautlos und legte mich wieder ins Bett, neben dem noch meine Darth Vader Maske lag.

„Gute Nacht kleiner Prinz, morgen ist auch noch ein Tag…..“ murmelte ich zu mir selbst……….