Sternstunden der Misantrophie oder Mein Leben als Menschenfeind

Als ich den Cape Town International Flughafen sah, wusste ich nicht nur dass nun tatsächlich dieser schöne Urlaub sein jähes Ende haben sollte, nein, ich wusste auch dass es wieder einer dieser unendlich langen Flüge werden würde.

Einer dieser Flüge, die eigentlich keine Sau braucht, ausser eben die armen Säue die zu faul sind ihre Fernreisen per pedes, Schiff oder Auto zu begehen. Ich gehörte zu diesen armen Säuen und auch wenn ich vor jedem Flug verschiedene Szenarien durchspiele, wie es dazu kommen könnte, dass es mein letzter werden würde, so bestieg ich auf ein Neues den Flieger der Air France, jene Fluglinie die noch vor nicht all zu langer Zeit noch einen ihrer Flieger im Antlantik nahe Brasilien versenkte.
Nebenbei las ich kurz vor der Hinreise noch irgendwo online gezielt Nachrichten rund um das Flugwesen und da stand u.a. dass 2011 das sicherste jahr der Fluggeschichte gewesen sei. „Na dann müsste es ja bald mal wieder scheppern,“ dachte ich.

Die Vorzeichen standen also denkbar schlecht, auch wenn ich schon recht unproblematisch den Hinweg unter den gleichen bestritten hatte.

Ich nahm also meinen Platz für meine Verhältnisse recht routiniert ein und wartete auf den Start dieses fliegenden Sarges voller tiefenentspannter Froschfresser als auch schon aus der „Jukebox“ die Stimme des Kapitäns den Abflug ankündigte. Neben mir saß niemand.

„Cooooooool“ dachte ich mir zu mir selbst und drückte die Sitzlehnen runter. „Alles für mich alleine!!!!“ Ich hatte es einfach verdrängt, dass auf dem Hinflug auch nicht alles nach Plan lief, als dann kurz vor Toresschluß ein französisches Päärchen in den Flieger gestürmt kam.
Das sind dann die Leute, die immer alle ganz besonders cool sind am Flughafen und nicht wie ich immer ganz vorne stehen um schnell rein oder raus zukommen, nunja, aber es ist irgendwie unfair wie sie Illusionen anderer auf die Art zunichte machten und es ging jetzt für mich nur darum ob der Typ oder seine dicke Freundin neben mir sitzen würden.

Es ist fast überflüssig zu sagen, dass die wohl genährte Dame sich in die Mitte setzte, während ihr Freund am Fenster Platz nahm. Mit heuchlerischem Optimismus dachte ich mir „So musste wenigstens keinen fragen wenn Du aufstehen möchtest“, dabei stehe ich so wenig wie möglich auf bei solchen Flügen. Damit ich eben nicht wie all diese Lemminge auf Socken durchs Flugzeug husche und am Gang sitzende Leute flüchtig streife. Um eben nicht im Gang zu stehen und blöd in die Reihen zu stieren als hätte ich mir kurzfristig in die Hose gekoffert. Vielleicht isses das. Oft stehen diese Leute ja auch alle auf und müssen gleichzeitig durch auf die Toilette und sie bewegen sich auch als würden sie alle volle Windeln tragen.
Da gerade ältere „Mitreisende“ zwischen Raum und Zeit das so halten gehe ich also einfach mal davon aus, dass diese These stimmt.

Der Flieger startetete und das Paar neben mir fing an auf dem Ipad für Klosteinlutscher irgendein Fake von Trival Pursuit zu spielen. Ich packte ein Buch aus und fing an zu lesen. Hatte ich eigentlich gar kein Gas drauf, liess mich aber vielleicht aus diesem kleinen Mikrokosmos entfliehen in dem ich hier gelandet war – dem Mikrokosmos der Froschfresser auf Weltreisen.
Der Flug zog sich wie erwartet. Ich konnte mich irgendwie nicht konzentrieren, also legte ich das Buch zur Seite und schaute mir den neuen Muppets-Kinostreifen an. Langsam wurde es dunkel draussen und dieses bedrohliche Schummerlicht im Flieger ging an. Die Zeit in der die Geister mit den vollen Windeln erwachen, die Zeit die mich zum Welt-Misantrophen Nummer eins werden lassen sollte.

Die französische Antwort auf Miss Piggy neben mir zog sich die Schlafmaske an, die irgendwie so zu der ganzen Situation passte wie all die vollen Windeln die wie von Geisterhand gesteuert durchs Flugzeug schwebten. Ihr Freund oder Ehemann oder was auch immer war währenddessen bereits in einen Dämmerschlaf gefallen und Piggy packte nun auch ihr Deckchen aus, direkt nachdem sie sich ihr Abendessen in Nanosekunden reingeschoben hatte. Es scheint hier oben wirklich gerade zauberhaftes zu passieren. Zeit und Raum verschmilzen wie Windeln mit Inhalt und eine merkwürdige, ufomäßige Stimmung macht sich im Sargbomber nach Paris breit.

Auch ich hatte mein Essen gegessen, schon längst vor den anderen, denn ich hatte beim Onlinebuchen Hindu als Nahrungswunsch angegeben und Extrawürste werden auch bei den Franzosen bevorzugt behandelt. So stand ich in der Nahrungskette also vor der Froschfressern, ein deutliches Signal also wer hier im Flieger die Hosen anhatte. Oder eben auch nicht…….

Ich vergaß zu erwähnen, dass die beiden auch ihre von mir runtergeklappten Sitzlehnen nicht wieder hochgeklappt hatten, nachdem sie sich setzten, so dass es keine Barrieren zwischen uns gab. Das nenne ich dann mal menschlich zusammenrücken, auch wenn ich diesen Wunsch gar nicht so hegte in dieser Situation.

Jedenfalls fiel nun auch Piggy in ihren wohlverdienten Schlaf. „Mal sehen was es noch an Filmen gibt…“ dachte ich und entschied mich für „Big Lebowski“. Kannte ich zwar schon auswendig, brachte mich vielleicht aber weit weg von hier zwischendurch.

Nach gut einer Stunde lag dieser fleischgewordene Albtraum dann in embryonaler Stellung an mich rangelehnt. Man konnte es schon fast kuscheln nennen. Ich drückte zart meinen Ellenbogen in ihre schwabbelige Seite. Sie schnaufte leise und schaute mich verschlafen an. Ich schaute ich auf den Bildschirm und schüttelte genervt den Kopf.

Düstere Stille hatte sich über Zeit und Raum gelegt und nach dem zweiten Film dachte ich irgendwann nachts gegen 2 vielleicht könnte ich nun auch etwas schlafen, auch wenn ich das eigentlich ohne Valium auf einem Flieger gar nicht kann.
Ich lehnte mich zum Gang hin, den dicken Hintern dieser mir schon zum Feind gewordenen Frau hin an meinem spürend. Irgendwie war es als würde irgendwas jucken, so als würden einen Flöhe beissen oder jemand mit einem Monate nicht gewaschenem Spültuch an einem rumrubbeln. Ich ekelte mich.

Die Geister mit den Windeln taten unentwegt ihren Dienst. Immer wieder streifte mich wie von magischer Hand etwas am Kopf, auch teils das flinke Bordpersonal, doch ich stellte mich weiter tot. Ich redete mir tatsächlich ein, dass ich so müde war, dass ich von alleine einschlafen würde, Pustekuchen, am Arsch ist die Ente fett.
Vor allem wenn sie ein Schwein ist, neben mir sitzt und sich hin und her räkelt.

Immerhin, ich fiel in einen Sekundenschlaf bis mich die nächste Welle der Bordzombies erwischt. Ich weinte innerlich. „Nein, nein, das kann nicht sein. Ich hasse sie alle, ich hasse sie alle!“ weinte ich in mich rein und irgendwie war ich zu deprimiert um zu resignieren. Nach der zweiten Welle stand dann der vor mir sitzende Landsmann vor mir, Typ pensionierter Lehrer, der Thromboseübungen machte während seine Frau vollgewindelt zur Toilette schwebte.
Interessant an ihm war, dass er nicht nur dieses auf denen Beinen hoch und runterwippen praktizierte, sondern er hatte auch dieses Kopf drehen auf so wie das Boxer gerne mal machen, wenn sie wieder auf den Gegner zugehen nachdem sie eine reingekriegt haben, quasi um den Kopf für die nächste Kelle freizumachen, die ich ihm zu gerne direkt verpasst hätte.

Gegen 4 Uhr hielt ich es nicht mehr aus und schob Piggy zur Seite, was nicht so schwierig war, ich brauchte nur ein paar Zentimeter Raumgewinn um die Lehne sehr bestimmt und mit einem festen Ruck runterzuknallen.

Sie schaute mich an. Ich schaute Sie an. Ich schüttelte wieder den Kopf, mit dem bösesten Gesicht was ich aufsetzen kann und dann drehte sie sich wieder zur Seite, während ich darüber nachdachte mir auch eine Schlafmaske aufzusetzen. War mir letzten Endes zu albern, aber die Ohrenstöpsel habe ich dann probiert, um dieses sonore Brummen aus meinem Kopf zu kriegen zu dem die ganzen Idioten wie ferngesteuert durchs Flugzeug schwebten.

Ich spürte sie immer noch. In meinen Sekundenträumen saß sie in einem Kochtopf um den ich mit einem großen Buschmesser tanzte, doch das machte alles nicht gerade besser. Plötzlich ging das Bordlicht an und wie von Wunderhand waren alle Geister in Sekunden auf ihren Platz geschwebt, bis auf einen Renter der wie ein Vortänzer vor der Abtrennung zur ersten Klasse seine Übungen machte und dabei in die Menge sah als würde er diesen Moment vor Publikum geniessen.

Das Frühstück wurde aufgetragen und ich wusste wir würden bald in Paris landen. Minuten später saß ich mit gespielter Betroffenheit neben Piggy, während sie hetkisch den heissen Kaffe von ihrer Hose wischte und anfing mit ihrem Mann auf französisch über mich zu lästern.
„Ich lasse einen auf Eure tuntige Sprache!“ dachte ich mir selbstzufrieden und drehte fast glücklich die Musik auf. „Junk of the Heart“ von den Kooks:

I wanna make you happy,
I wanna make you feel alive,
Let me make you happy,
I wanna make you feel alive at night,
I wanna make you happy,
Are you a good girl through the night

Sekunden tiefster Feindschaft prägten den Anflug nach Paris und ich fühlte ich mich wenigstens für diese Zeit etwas besser, völlig ignoriend dass ich nun noch schlappe 4 Stunden auf diesem schrecklichen Flughafen verbringen musste, bevor ich nun endlich nach Hause konnte.

Dorthin, wo ich 12 Stunden zuvor nach all den schönen Tagen gar nicht hinwollte……….. 12 Stunden voller unfreiwilligem direktem Körperkontakt……..

Eine Antwort auf „Sternstunden der Misantrophie oder Mein Leben als Menschenfeind“

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